Wenn Frauen Wurzeln schlagen – Entdeckung einer verloren geglaubten Welt

Wenn Frauen Wurzeln schlagen – Entdeckung einer verloren geglaubten Welt

Eva Eberwein erwarb im Jahr 2003 gemeinsam mit ihrem Mann das Wohnhaus, mitsamt Garten, das Hermann Hesse 1907 in Gaienhofen am Bodensee erbaut hatte. Beides wurde originalgetreu saniert und hat sich zum Anziehungsort für Literatur- und GartenfreundInnen aus aller Welt entwickelt. Über Hesses Garten in dem früheren Dörfchen hat die Diplombiologin ein Buch vorgelegt, das jede einzelne Zeile der Lektüre wert ist. Ferdinand Graf von Luckner hat dazu prächtige Bilder geliefert, die den Lesegenuss nochmals steigern.

Wenn der Untertitel dieses Werkes „Von der Entdeckung einer verlorenen Welt“ lautet, so kann man diesen durchaus als eine autobiographische Anmutung Eberweins verstehen. Auch ein Teil ihrer eigenen Wurzeln liegt in diesem Lebens- und Wohnort von Hermann Hesse und seiner Familie. Wenngleich im Erwachsenenalter die Aufenthalte in Gaienhofen weniger wurden, haben sich doch die dort verbrachten Sommer ihrer Kindheit, die unendlichen Maikäfermengen, die schwellenden Obstbäume, der duftende Beetsaum aus Phlox, Wilde Möhre und Aufgeblasenes Leinkraut quasi in die DNA von Eva Eberwein eingeschrieben: „Der Ort meiner Entscheidung für Hesses Haus und Garten fiel im Jahr 2003 hier zwischen Haustür und Windfang. Mit dem Duft war die Erinnerung von damals sofort wieder da.“

Kompetent und inspirierend wird die bewegte und bewegende Geschichte dieses, nach den Prinzipien der Reformbewegung und Selbstversorgung angelegten und einzigen Gartens, den der Schriftsteller und Nobelpreisträger Hermann Hesse (2. Juli 1877 in Calw bis 9. August 1962 in Montagnola) jemals als Eigentümer besass, nahegebracht. Mit seiner Ehefrau, der aus der grossbürgerlichen Familie Bernoulli in Basel stammenden selbstständigen Fotografin Mia, war Hesse 1904 nach Gaienhofen gezogen.

Drei Jahre später begann der Bau des über dem Ort auf einem Hügel gelegenen Hauses, ein Jahr später erfolgte die Anlage des ersten Gemüse- und Blumengartens, der durch Zukauf von Land rasch vergrössert und dann um einen Obstgarten, einen Blattgemüse- sowie einen Wurzelgemüsegarten bereichert wurde. Während noch 1911 in diesem prächtig gedeihenden und duftenden Grün, das den Eheleuten und den Kindern ans Herz wuchs, eine Laube errichtet wurde, verkaufen Mia und Hermann Hesse im September 1912 das gesamte Anwesen, um nach Bern zu übersiedeln. Fortan erlebt dieses Stück Scholle durchaus auch düstere Zeiten wie den Verkauf und die Überbauung mit mehreren Doppelhäusern des „Unteren Gartens“ im Jahr 1994.

Es ist ein weiter, ein faszinierender thematischer Bogen, den Eva Eberwein kenntnisreich und detailliert spannt. Sie lässt teilhaben am Leben und Alltag der Hesses in einer dörflich-ländlichen Gegend jenseits städtischen Lärms, bringt den Gartenbau und seine Kulturgeschichte näher, sie berichtet exemplarisch aus der Geschichte der Halbinsel Höri, einem ganz besonderen Flecken Erde an der deutsch–schweizerischen Grenze. Nicht unerwähnt lässt Eva Eberwein, dass es Mia Hesse war, die nach langer Suche Gaienhofen zum Ort der geplanten „Verwurzelung“ auserkoren hatte. Sie war es auch, die den Grossteil der dafür erforderlichen Mittel einbrachte.

Text: Eva Grundl   / Bild: www.randomhouse.de 

Eva Eberwein bietet unter anderem Führungen zum Haus, zum Garten, zur ersten Frau von Hermann Hesse, sowie zur Lebensreform an, ausserdem einige Kräuter- und Bauerngartenführungen. Weitere Informationen: www.hermann-hesse-haus.de

Eva Eberwein, Ferdinand Graf Luckner : „Der Garten von Hermann Hesse
Von der Wiederentdeckung einer verlorenen Welt“
Deutsche Verlagsanstalt 2016
ISBN: 9783421040343

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