Die Frauenrechtlerin Anne-Marie Rey ist gestorben

Die Frauenrechtlerin Anne-Marie Rey ist gestorben

Die Berner Frauenrechtlerin Anne-Marie Rey ist mit 78 Jahren an Herzversagen gestorben. Die gebürtige Burgdorferin setzte sich jahrzehntelang für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch ein.

Die Stimme der Schweizer Frauenrechtlerin Anne-Marie Rey ist für immer verstummt. Die Berner Sozialdemokratin und Vorkämpferin des straffreien Schwangerschaftsabbruchs erlag mit 78 Jahren einem akuten Herzversagen. Dies teilte die Familie am Dienstag mit. Rey gehörte 1973 zu den Gründerinnen der «Schweizerischen Vereinigung für Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs». Jahrzehntelang kämpfte sie für das Abtreibungsrecht der Frauen. Ihr Ziel erreichte sie am 2. Juni 2002, als das Schweizervolk die Fristenregelung mit einem hohen Ja-Stimmen-Anteil annahm.

In ihrer Autobiografie «Die Erzengelmacherin» schilderte Rey das Schicksal der letzten Frauen, die in der Schweiz in den 1980er-Jahren wegen illegaler Abtreibung verurteilt wurden. Die dreifache Mutter, Anne-Marie Rey, war auch in der Berner Kantonspolitik aktiv. Von 1987 bis 1995 sass sie für die SP im Grossen Rat. Rey war in Zollikofen wohnhaft.

Was hat sie den Erbinnen hinterlassen?

Bis Ende der Neunzigerjahre war eine Abtreibung aufwendig. Unter Narkose wurde der Embryo abgesaugt, manchmal war der Eingriff mit einem stationären Spitalbesuch verbunden. Seit 1999 die Abtreibungspille auf den Markt gekommen ist, genügt die Einnahme von Tabletten. Die medikamentöse Methode ist zwar schmerzhafter, aber unkompliziert. Heute wählen etwa 70 Prozent der Frauen, die abtreiben, diese Methode.

Nach heutigen Regeln sind dafür mehrere Arztbesuche nötig: ein erstes Be­ratungsgespräch, dann ein zweites. Zwei Tage nach der ersten Tabletteneinnahme muss die Frau für das zweite Medikament erneut zum Arzt. Hinterher folgt eine Nachkontrolle. Nach Ansicht einiger Gynäkologinnen und Gynäkologen ist der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch komplizierter als nötig. Er könnte ihrer Ansicht nach vereinfacht werden, indem die Frau das zweite Medikament zu Hause einnimmt. Mit einem neuen Urintest, der ebenfalls zu Hause durchgeführt werden kann, erübrigt sich auch die Nachkontrolle. Weiter verzichten manche Gynäkologen auf ein zweites Beratungsgespräch vor dem Eingriff und beginnen, sofern sich die Frau sicher ist, sofort mit der Abtreibung.

Abtreibungswillige sind meist sicher

Nach einer aktuellen Umfrage der Zeitschrift «Swiss Medical Forum» bietet rund ein Drittel der angefragten öffent­lichen Spitäler in der Schweiz die Ab­treibung mit nur einer Konsultation an (One-Stop-Methode). Ein Pionier auf diesem Gebiet ist der Zürcher Allgemeinpraktiker André Seidenberg, der den vereinfachten Schwangerschaftsabbruch seit Anfang 2015 anbietet – in Anlehnung an klinische Untersuchungen mit po­sitiven Ergebnissen etwa in Skandinavien und Grossbritannien. Vor wenigen Tagen hat Seidenberg Bilanz gezogen: Demnach ist die Zahl der Abbrüche in seiner Praxis letztes Jahr von 253 auf 290 leicht gestiegen. Das habe aber nicht mit dem erleichterten Abbruch zu tun, sagt er. «Wenn eine Frau unsicher ist, gibt es immer ein zweites Gespräch.» 2015 ­waren 31 Frauen beim ersten Gespräch unsicher, 2014 waren es 24.

Stephanie von Orelli, Chefärztin der Frauenklinik am Triemlispital in Zürich, ist gegenüber der erleichterten Methode aufgeschlossen. Noch habe sie keine ­Erfahrung damit, aber das Triemlispital prüfe derzeit die Einführung, sagt sie. «Die meisten Frauen haben sich bereits vor dem ersten Gespräch intensiv mit dem Schwangerschaftsabbruch auseinandergesetzt.» Die Erfahrung zeige, dass «die meisten Frauen wissen, dass sie einen Abbruch wollen». Auch am Uni­versitätsspital Zürich wäre es theo­retisch möglich, mit nur einer ärztlichen ­Konsultation einen Schwangerschafts­abbruch vorzunehmen. «Wir raten aber davon ab», sagt Oberarzt Konstantin ­Dedes. Zwar seien sich rund 90 Prozent der Frauen sehr sicher, doch für die übrigen 10 Prozent sei die Bedenkfrist wichtig. «Deshalb raten wir, nach der Beratung mindestens einen Tag zu warten.»

Die Richtlinien neu definieren

Thomas Eggimann, Generalsekretär der schweizerischen Gesellschaft für Gy­näkologie und Geburtshilfe (SGGG), ist ein dezidierter Gegner der One-Stop-Methode. Das sei seine persönliche Meinung, betont er, da sich der Verband noch nicht mit dem Thema befasst habe. «Ich bin ein überzeugter Verfechter der Fristenregelung und der damit verbundenen Erleichterungen des Schwangerschaftsabbruchs. Doch eine Bedenkzeit zwischen der ersten Konsultation und der Einnahme der Abtreibungstabletten ist absolut wichtig.» Eine «angemessene Bedenkzeit» verlangen auch die SGGG-Richtlinien. Gesetzlich vorgeschrieben ist die Bedenkzeit nicht, das Strafgesetzbuch verlangt lediglich ein «eingehendes Gespräch». Der Verband müsse seine Richtlinien anpassen, fordert Seidenberg. Laut Generalsekretär Eggimann traktandiere die SGGG das Thema demnächst. Er könne sich aber nicht vorstellen, dass eine Mehrheit des Vorstands das One-Stop-Angebot befürworte.

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